ClientEarth
24. November 2020
Der deutsche Kohleausstieg hat schon früh nicht mehr das gehalten, was er einst versprach: einen schnellen Kohleausstieg. Im Gegenzug für einen viel zu späten Ausstieg erhalten Betreibende immense Entschädigungszahlungen und gleichzeitig wurde zugelassen, dass das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz ging. Unter einigen Klimaaktivist*innen und Kritiker*innen wird das Gesetz daher zynisch als „Kohleeinstiegsgesetz“ bezeichnet. Trotz vieler Bemühungen von Umweltorganisation und Politiker*innen gelang es am Ende nicht, einen Weg zu gestalten, der den Pariser Klimazielen gerecht wird – schlimmer noch: Die Kosten und vor allem Risiken schießen in ungeahnte Höhen. Ein Ausstieg im Jahre 2038 wird der Dringlichkeit der Klimakrise, die fatale Konsequenzen für unseren Planeten und die Weltbevölkerung hat, nicht gerecht. Besonders eindrücklich zeigt dies der aktuelle Film „Ökozid“, in dem sich die Bundesregierung im Jahre 2034 auf der Anklagebank für ihre katastrophale Klimapolitik, insbesondere den viel zu späten Kohleausstieg, rechtfertigen muss.
Was wissen wir wirklich über den Kohleausstieg?
Im Vergleich zur Kohleindustrie hatten Akteur*innen der Zivilgesellschaft nahezu keine Gestaltungsmöglichkeiten und keinen Einfluss im Hinblick auf das Endergebnis zum Kohleausstieg. So hatten selbst Abgeordnete des Bundestages oder auch des Europaparlaments keinen Einblick in die Verhandlungen mit Braunkohlebetreibenden und das anschließende Beihilfeverfahren der Kommission. Auf Anfrage des Mitglieds des Europäischen Parlaments (MdEP) Jutta Paulus wurde erst kürzlich lediglich durch die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verkündet, dass sich die Beihilfeprüfung im Notifizierungsverfahren befinde.
Auch die Reaktion auf eine Anfrage von den Grünen an das Wirtschaftsministerium brachte nur spärliche Informationen. Die Antworten untermauerten eher noch an einigen Stellen die zuvor von ClientEarth geäußerte Kritik, etwa mit Blick auf die Verwendung der Entschädigungen für die Rekultivierung. Zudem verweisen die Antworten auf ein Gutachten von Ernst & Young, dass aber nach den Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums noch gar nicht fertiggestellt, geschweige denn veröffentlicht ist.
Die Tatsache, dass die Gespräche mit der EU-Kommission zum Beihilfeverfahren andauern, weist darauf hin, dass es Probleme geben könnte. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte die beihilferechtliche Entscheidung deutlich früher erwartet. Unklar ist, ob auch die Tatsache, dass die Verträge mit Braunkohlebetreibenden noch nicht unterzeichnet sind, hiermit im Zusammenhang steht. Planmäßig hätten auch die Braunkohleverträge bereits unterzeichnet werden sollen und dies hätte auch trotz ausstehender Beihilferechtsentscheidung passieren können, denn der Vertrag schafft Regelungen für den Fall von bestimmten Konstellationen einer Beihilfeentscheidung. Diese Verzögerung könnte ein Anzeichen dafür sein, dass die Kommission die beihilferechtlichen Bedenken, wie sie etwas durch die ClientEarth-Jurist*innen geäußert wurden, eingehend prüft und das Kohlegesetz jedenfalls nicht für offensichtlich mit dem Beihilfenrecht vereinbar hält.
Expertise von Jurist*innen liegt vor
ClientEarth hat in mehreren Eingaben der Europäischen Kommission dargelegt, dass sowohl die Entschädigungen an Braunkohlebetreibende sowie die Zahlungen an Steinkohlebetreibende durch Ausschreibungen als auch die KWK-Förderung in vielen Fällen zu Überkompensationen führt.
Wie sich aus der Eingabe zur Steinkohle ergibt, erhalten mit den Ausschreibungen vor allem alte Steinkohlekraftwerke, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, viel zu hohe Summen für die Stilllegung. Zudem ist intransparent, wie die Höchstsummen für die Ausschreibungen ermittelt wurden, zumal sie im Gesetzgebungsprozess kurz vor Ende überraschend erhöht wurden. Daten, die die Zweifel an ihrer Angemessenheit widerlegen, fehlen. Und eine weitere Unsicherheit bahnt sich an: Die Gebote konnten bis zum 2. September abgegeben werden und die Ergebnisse sollen am 1. Dezember veröffentlicht werden. Der Zuschlag muss spätestens drei Monate nach Gebotstermin abgegeben werden, aber wenn bis dahin noch keine Entscheidung der Kommission vorliegt, stünde die Entscheidung weiterhin unter einem beihilferechtlichen Vorbehalt. Einen Anspruch auf die Zahlungen erhalten die Unternehmen erst, sobald die Entscheidung der EU-Kommission da ist.
Mit Blick auf die Braunkohle zeigen Berechnungen am Beispiel der LEAG, dass die Entschädigungszahlungen nicht sachgerecht sind. Nach einer Studie des Öko-Instituts sind sie um eine Milliarde Euro – insgesamt sogar ca. zwei Milliarden – überhöht. Zudem ist nicht nachvollziehbar, wie die Summen festgelegt wurden. Es gibt widersprüchliche Informationen der Bundesregierung, die einerseits darauf hindeuten, dass die Entschädigung auf einer Formel basiert, aber auch andererseits Resultat eines Verhandlungsergebnisses sind.
Und was ist mit der LEAG?
ClientEarth hat in insgesamt zwei Stellungnahmen an die EU-Kommission vor allem die Entschädigungen an die LEAG kritisiert. Im Juni 2020 kritisierten die Jurist*innen, dass insbesondere nach Bekanntwerden des sog. LEAG-Skandals keine Zahlungen an den Konzern gehen sollten oder nach Beihilferecht genehmigungsfähig seien. Grund war, dass nach Bekanntwerden interner Planungen der LEAG im Januar 2020 klar wurde, dass keine früheren – sondern zum Teil sogar spätere – Abschaltungen von LEAG-Kraftwerken erfolgt, verglichen mit den früheren internen Planungen.
Im August 2020 wiesen die Jurist*innen in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass große Risiken bestünden, dass die vereinbarten Zahlungen und die Anordnung, dass diese ausschließlich für die Rekultivierung verwendet werden sollten, riskieren im Widerspruch zum EU-rechtlichen Verursacherprinzip zu stehen. Denn nach einem Gutachten der Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm, das Grundlage dieser Stellungnahme war, werden die Entschädigungszahlungen durch das Gesetz und den Vertrag jedoch durch diese Vorschrift zweckentfremdet. Die Summen sollen allein für die Rekultivierung verwendet werden, d.h. sie sollen zur Erfüllung originär bergrechtlicher Betreibendenpflichten der Braunkohlentagebaubetreibenden genutzt werden. Damit setzt der Staat sich an die Stelle der eigentlich bergrechtlich Verpflichteten.
Die Versuchung des Gases
Ein weiterer Kritikpunkt ist die KWK-Förderung, die einen besonderen Anreiz für die Umrüstung von Steinkohle- auf Gas-KWK schafft und in manchen Fällen sogar die Investitionskosten übersteigt statt sich an den tatsächlichen Kosten zu orientieren. Dadurch wird fossiles Erdgas trotz der schlechten Klimabilanz aufgrund von Methanemissionen und der Verstärkung eines Lock-In Effekts enorm gefördert.
Neben ClientEarth mit seinen zahlreichen beihilferechtlichen Eingaben haben sich auch Marktakteuren*innen wie Greenpeace Energy mit einer Beschwerde sowie Mitglieder des Bundestages mit einer Stellungnahme an die Bundesregierung und die Kommission gewendet.
ClientEarth kämpft schon seit Mitte 2019 für ein gutes Kohlegesetz, unter anderem auch mit einem gemeinsam mit Greenpeace ausgearbeiteten Gesetzesentwurf. Dieses Gesetz hätte keine beihilferechtlichen Risiken mit sich gebracht, da Entschädigung nur dort gezahlt worden wäre, wo unzumutbare Einbußen durch einen früheren Ausstieg entstanden wären. Verglichen damit weist das daraufhin beschlossene Gesetz der Regierung eine Vielzahl an Risiken, Schlupflöchern und Gefahren auf. Deshalb haben die Umweltjurist*innen das Gesetz genau auf den Prüfstand gestellt, Schwachstellen herausgearbeitet und ihre Ergebnisse bekannt gegeben. Ida Westphal, Juristin von ClientEarth, sprach zur Problematik mit den Verträgen der Braunkohlebetreibenden auch bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss. Eine adäquate Reaktion der Bundesregierung blieb aus – im Gegenteil sie verfolgt mehr oder weniger eine Strategie maximaler Intransparenz, mit der sie leider nicht der benötigten Klimapolitik gerecht wird, sondern es den Betreibern recht macht.
Deutschland – den Letzten beißen die Hunde
Mit dem viel zu teuren und viel zu späten Kohleausstieg wird Deutschland zu einem Nachzügler im Klimaschutz und riskiert, was es auf europäischer und internationaler Ebene verspricht, nicht einhalten zu können. Eine neue Studie von Agora zeigt, dass, um das Ziel des Green Deals von -65% Emissionen bis 2030 zu erreichen, die Kohle bis 2030 stillgelegt werden muss – nicht wie im Kohlegesetz bis 2038. Der Bund deutscher Steuerzahler prangerte auch schon öffentlich die Verschwendung von Steuergeldern durch die Entschädigungen an Kohlebetreiber an. Einer Studie von Greenpeace zufolge könnte der Abbau klimaschädlicher Subventionen den Bundeshaushalt sogar um 46 Milliarden jährlich entlasten.
Die Europäische Kommission hat nun im beihilferechtlichen Verfahren abschließend die Chance, sich gegen das misslungene Kohlegesetz und hinter die Zivilgesellschaft und das globale Klima zu stellen.