ClientEarth
9. Februar 2023
Wir gehen gerichtlich gegen den Vorstand von Shell vor, weil er es versäumt hat, die Abkehr des Unternehmens von fossilen Brennstoffen in angemessener Zeit einzuleiten. Dies ist der erste Fall dieser Art überhaupt, in dem Unternehmensvorstände persönlich haftbar gemacht werden sollen.
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Der Vorstand ist gesetzlich dazu verpflichtet, Risiken zu handhaben, die den künftigen Erfolg des Unternehmens beeinträchtigen könnten. Die Klimakrise stellt dabei das größte Risiko dar.
In Zeiten, in denen sich Staaten und Endabnehmer weltweit für billigere, saubere Energie entscheiden, muss sich Shell von fossilen Brennstoffen abwenden und ein alternatives Geschäftsmodell entwickeln, damit das Unternehmen in Zukunft überhaupt wettbewerbsfähig bleiben kann.
Wir argumentieren, dass der Plan, den der Shell-Vorstand derzeit für diese Neuausrichtung hat, schlicht unzureichend ist.
Warum? Das Unternehmen schafft es nicht, die Emissionen zu senken, wie es zur Erreichung der globalen Klimaziele erforderlich wäre. Vielmehr will Shell die Produktion fossiler Brennstoffe noch jahrzehntelang fortsetzen. Dadurch wird das Unternehmen an Projekte und Investitionen gebunden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirtschaftlich werden, während die Welt ihre Energiesysteme neu ordnet.
Dies gefährdet sowohl die langfristige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens als auch die Bemühungen um den Schutz des Planeten. Der Erfolg bei letzterem ist unweigerlich mit dem Ausmaß des wirtschaftlichen Risikos, das das Unternehmen eingeht, verbunden.
Die unzureichenden Energiewendepläne von Shell könnten zu einem Wertverfall des Unternehmens führen, der Arbeitsplätze kostet und das Risiko birgt, dass Aktionäre und Investoren erhebliche Geldbeträge verlieren, einschließlich der Gefahr für Rentenfonds.
Unserer Ansicht nach verstößt der Shell-Vorstand damit gegen seine gesetzlichen Pflichten nach dem englischen Unternehmensgesetz, wonach dem Klimarisiko des Unternehmens angemessen zu begegnen ist.
Deshalb ziehen wir vor Gericht.
Sind Sie ein Anleger von Shell? Finden Sie heraus, was diese Klage für Sie bedeutet (Englisch)
Obwohl Shell den Risiken des Klimawandels in erheblicher Weise ausgesetzt ist, ist sein Klimaplan grundlegend mangelhaft. Indem der Shell-Vorstand es versäumt hat, das Unternehmen angemessen auf den Übergang zur Klimaneutralität vorzubereiten, erhöht er die Anfälligkeit des Unternehmens für Klimarisiken und gefährdet damit dessen langfristigen Wertgehalt.
Wir reichen diese Klage als Anteilseigner des Unternehmens ein und rufen das Gericht an, den Vorstand zu verpflichten, die Klimapläne von Shell zu verschärfen.
Zum ersten Mal überhaupt wird mit dieser Klage der Vorstand eines Unternehmens wegen seiner unzureichenden Maßnahmen hinsichtlich der Energiewende zur Verantwortung gezogen.
Die Klage hat bereits von institutionellen Anlegern Unterstützung erhalten, die zusammen mehr als 12 Millionen Aktien des Unternehmens halten – darunter unter anderem die britischen Pensionsfonds Nest und London CIV, der schwedische Pensionsfonds AP3, der französische Vermögensverwalter Sanso IS, Degroof Petercam Asset Management (DPAM) in Belgien sowie Danske Bank Asset Management und die Pensionsfonds Danica Pension und AP Pension in Dänemark. Die Investoren befürchten, dass mit der gegenwärtigen Strategie des Vorstands die Emissionen des Unternehmens nicht rechtzeitig reduziert werden können.
Wir sind der Meinung, dass die Festlegung hinreichender kurz- und mittelfristiger Emissionsreduktionsziele den langfristigen Wert des Unternehmens sichern und das Kapital der Anleger schützen wird.
Die Investoren verlangen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die dem Risiko des Klimawandels gerecht werden, und werden diejenigen in Frage stellen, die nicht genug für die Umstellung ihres Unternehmens tun. Wir hoffen, dass die gesamte Energiebranche aufhorcht. 2023 ist ein entscheidendes Jahr, wenn wir die Klimaneutralität bis 2050 als Ziel beibehalten wollen. Diese Klage kann ein Sprungbrett für Shell sein, um wichtige Veränderungen einzuleiten.
Wir ergreifen sogenanntes "derivative action" gegen Shell im Vereinigten Königreich.
Eine solche Aktionärsklage ist eine Klage, die von einem Aktionär eines Unternehmens - letztlich im Namen des Unternehmens - erhoben wird, um vermeintliche Pflichtverletzungen des Vorstands geltend zu machen. Das bedeutet, dass der Aktionär den Vorstand für vermeintlich gegen das Unternehmen begangenes Unrecht zu belangen sucht.
Nach englischem Gesellschaftsrecht ist der Vorstand gesetzlich dazu verpflichtet, den Erfolg des Unternehmens zu fördern und mit angemessener Sorgfalt, Geschick und Gewissenhaftigkeit zu handeln.
Wir vertreten die Auffassung, dass der Vorstand gegen seine Pflichten verstößt, wenn er bei der Unternehmensführung nicht ausreichend auf die Risiken des Klimawandels reagiert.
Shell behauptet öffentlich, dass seine Strategie mit den Zielen des Pariser Abkommens (Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 °C) in Einklang steht, und will bis 2050 ein klimaneutrales Energieunternehmen werden.
Das Problem ist, dass diese Strategie sowie die Zwischenziele einfach nicht hinreichen, um dorthin zu gelangen.
Denn danach würde das Unternehmen seine Nettoemissionen bis zum Ende des Jahrzehnts lediglich um 5 % reduzieren, wie Untersuchungen von Analysten ergeben haben.
Die Pläne des Vorstands bleiben auch hinter den Vorgaben des Urteils des niederländischen Gerichts zurück, das Shell im Rechtsstreit um die Untätigkeit des Unternehmens angesichts der Herausforderungen des Klimawandels im Jahre 2021 dazu verurteilte, seine Gesamtemissionen bis 2030 um 45 % zu reduzieren.
Shell hat gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung eingelegt. Der Vorstand lehnt Teile des Urteils mit der Begründung ab, dass dieses unverhältnismäßig und im Wesentlichen unvereinbar mit dem Geschäftsmodell von Shell sei.
Eine Verzögerung wird jedoch nur die Risiken für das Unternehmen erhöhen und den unvermeidbaren Übergang hinausschieben. Es liegt im besten Interesse des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und seiner Aktionäre - und auch des Planeten -, dass Shell seine Emissionen stärker und schneller als derzeit geplant reduziert.
Die Anleger von Shell brauchen Gewissheit, dass das Unternehmen das von ihnen eingebrachte Kapital bei der Ausrichtung des Unternehmens im Zeichen der globalen Energiewende effektiv einsetzt und die angegebenen Klimaziele ernsthaft verfolgt.
Wir haben unsere Klage gegen den Vorstand von Shell eingereicht. Der Vorstand hat erklärt, dass er seine Position energisch verteidigen wird.
Der High Court muss nun über die Zulassung der Klage von ClientEarth entscheiden.